Mit der Entlassung von Arzneimitteln aus der Verschreibungspflicht stehen uns hochwirksame Präparate zur Selbstmedikation zur Verfügung
Für eine Kopfschmerztablette zum Arzt? Für Arzneimittel mit dem Wirkstoff Ibuprofen brauchten Patientinnen und Patienten früher tatsächlich ein Rezept. Auch viele weitere Arzneimittel, deren Kauf wir heute in der Apotheke für selbstverständlich halten, gab es früher nur per ärztlicher Verschreibung – darunter Lippenherpescreme mit dem Wirkstoff Aciclovir. Dass diese Arzneimittel heute ohne Rezept erhältlich sind, verdanken wir ihrer Entlassung aus der Verschreibungspflicht. Dies ist frühestens drei Jahre nach Markteinführung eines Arzneimittels mit einem neuen Wirkstoff möglich. Zuvor durchläuft es ein aufwendiges Zulassungsverfahren, in dem es seine Wirksamkeit, Qualität und Unbedenklichkeit belegen muss. Erst wenn der Hersteller ausreichende wissenschaftliche Unterlagen vorlegt, kann er die Entlassung aus der Verschreibungspflicht beantragen.
Fachleute bezeichnen dies als „OTC-Switch“. OTC steht für das englische „over the counter“ und bedeutet, dass ein solches Arzneimittel über den Ladentisch der Apotheke verkauft werden darf. Bis zur Entlassung eines Arzneimittels aus der Verschreibungspflicht sind allerdings mehrere Akteure an dem Switch-Verfahren beteiligt, neben dem Arzneimittelhersteller selbst das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) sowie das Bundesministerium für Gesundheit.
Günstiges Nutzen-Risiko-Profil
Ob Herpescreme, Fieberzäpfchen oder Antiallergikum, eines haben alle OTC-Arzneimittel gemeinsam: Sie haben sich jahrelang in ihrer Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit bewährt. Anja Klauke, OTC-Expertin des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie (BPI), bestätigt: „Arzneimittel, die zur Selbstmedikation – also eigenverantwortlichen Behandlung des Patienten – in den Apotheken erhältlich sind, haben ein besonders günstiges Nutzen-Risiko-Profil. Dies müssen sie vielfach in Studien bewiesen haben“ Daher lassen sie sich ohne ärztliche Überwachung eigenständig und sicher anwenden. „Sonst wären die lang bewährten und wirksamen Präparate niemals aus der Verschreibungspflicht entlassen worden“, so Klauke.
Mittlerweile ist jedes zweite in der Apotheke abgegebene Arzneimittel nicht verschreibungspflichtig. Die Auswahl macht’s: Wer beispielsweise an einer Erkältung leidet, kann auf eine ganze Reihe unterschiedlicher nicht-verschreibungspflichtiger Arzneimittel zurückgreifen. Und das ist auch gut, sagt Anja Klauke: „Vielleicht verträgt man den einen Fiebersenker besser als den anderen. Oder man möchte mehrere Symptome wie Kopfschmerzen und laufende Nase gleichzeitig behandeln. Die große Auswahl in der Selbstmedikation ermöglicht es Patientinnen und Patienten, sich entsprechend ihrer individuellen Bedürfnisse selbstbestimmt zu therapieren.“
Die Arzneimittel der Selbstmedikation sind nicht zuletzt dank ihrer Vielfalt zu einer wichtigen Säule der Gesundheitsversorgung geworden und entlasten unser Gesundheitssystem entscheidend – denn einen zusätzlichen Besuch des Hausarztes machen sie oftmals überflüssig. Dabei stehen sie in ihrer Wertigkeit den verschreibungspflichtigen Arzneimitteln in nichts nach; ihren hohen Nutzen und ihre Wirksamkeit haben sie schließlich jahrelang bewiesen.
Regulatorische Hürden bei pflanzlichen Arzneimitteln
Eine Besonderheit besteht im Markt der Selbstmedikation für Unternehmen, die innovative pflanzliche Arzneimittel für den OTC-Markt entwickeln und anbieten wollen. Diese Hersteller sehen sich mit einer speziellen regulatorischen Hürde konfrontiert: Gewinnen sie neue Extrakte aus einer bereits bewährten Arzneipflanze – zum Beispiel aus der Wurzel anstatt aus den zuvor genutzten Blättern –, so gelten diese Extrakte als neue Wirkstoffe. Sie gelten ebenfalls als neue Wirkstoffe, wenn ein neues Extraktionsverfahren angewandt wird. Somit sind sie verschreibungspflichtig und müssen die langwierige Nutzenbewertung durchlaufen. Dabei wurden diese Präparate von Beginn an für die Selbstmedikation entwickelt und sollen nicht langfristig für den Verschreibungsmarkt zur Verfügung stehen, sondern schnellstmöglich einen OTC-Switch durchlaufen. Eine regulatorische Anpassung – sprich: Vereinfachung – wäre hier sinnvoll, um den OTC-Markt auch weiterhin mit innovativen pflanzlichen Arzneimittel zu bereichern.
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