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Für Sie

Kinder sind keine kleinen Erwachsenen

Für viele Indikationsgebiete und Therapiebereiche gibt es nur wenige oder gar keine für Kinder und Jugendliche speziell geprüften Arzneimittel. Damit das nicht so bleibt, geht die pharmazeutische Industrie mit vielfältigen Vorschlägen gegen den Missstand vor.

 

Windpocken, Masern & Co gehören zu den typischen Kinderkrankheiten, die Eltern veranlassen, mit ihren Kleinen zum Arzt zu gehen. Dieser kann bei der Behandlung auf eine Auswahl an speziell für Kinder entwickelten und zugelassenen Arzneimitteln zurückgreifen, zum Beispiel fiebersenkende Schmerzmittel. Ganz anders sieht es jedoch bei der Therapie von seltenen und schweren Erkrankungen aus, darunter Krebs oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Hier sind Kinder im deutschen Gesundheitssystem gravierend benachteiligt. Im Vergleich zu Erwachsenen profitieren Kinder viel weniger vom medizinischen Fortschritt. Bis zu 90 Prozent aller in der Kinder- und Jugendmedizin verwendeten Präparate sind nicht speziell für Kinder zugelassen, wobei der Anteil im stationären Bereich weitaus höher ist als im ambulanten. Stattdessen muss der verschreibende Arzt auf Arzneimittel für Erwachsene zurückgreifen. Wird ein Arzneimittel außerhalb seiner eigentlichen Zulassung verwendet, spricht man vom sogenannten Off-Label-Use.

„In Kinderarztpraxen liegt der Off-Label-Use etwa bei 10 bis 20 Prozent“, so Dr. Burkhard Rodeck, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin in einem Interview für den Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI). „Aber in der Hochleistungsmedizin und in den Spezialgebieten der Kinderheilkunde ist die Gabe von Medikamenten außerhalb der Zulassung ein großes Thema.“ Generell gilt: Je jünger die Kinder sind und je seltener die Krankheit ist, desto weniger Kinderarzneimittel stehen zur Verfügung.

 

Riskante Improvisation bei der Arzneimittelgabe

Für die Kinderärzte heißt das, dass sie in der medizinischen Versorgung ihrer kleinen Patientinnen und Patienten häufig improvisieren und für Erwachsene zugelassene Arzneimittel anwenden müssen. Denn es gibt keine sicheren Regeln, nach denen man aus einer Erwachsenendosierung die Kinderdosierung berechnen kann. Ein Verändern der Darreichungsformen von Arzneimitteln, zum Beispiel durch Teilen, Auflösen oder Zerdrücken von Tabletten oder Öffnen von Kapseln, ist nicht sicher genug, um die richtige Dosierung zu finden. Die Gleichung, die Dosis einfach dem Körpergewicht entsprechend anzupassen, geht nicht auf. Kinder sind eben keine „kleinen Erwachsenen“. Sie unterscheiden sich nicht nur in ihrer Körpergröße deutlich von Erwachsenen. Ihre Organe sind noch nicht ausgereift, im Verhältnis zum Körpergewicht sind sie größer als die von Erwachsenen. Zudem unterliegen sie permanenten Entwicklungsprozessen. Der Stoffwechsel von Kindern ist ebenfalls ein anderer als der von Erwachsenen. Auch das Immunsystem ist bei Kindern noch nicht voll entwickelt, sodass ihr Organismus besonders empfindlich auf Arzneimittel reagiert. Kinder brauchen daher auf ihre besonderen Bedürfnisse abgestimmte Präparate.

 

Der Missstand in Fachkreisen bereits vor Jahrzehnten erkannt

Bereits 1968 prägte der US-amerikanische Kinderarzt und Pharmakologe Harry Shirty den Begriff der „therapeutischen Waisen“ für die betroffene Patientengruppe. Doch noch immer ist das Problem nicht behoben – obwohl es auch auf höchster Ebene längst erkannt wurde. So trat 2007 die europäische Kinderarzneimittelverordnung in Kraft. Sie verpflichtet pharmazeutische Hersteller, neue Arzneimittel auch bei Kindern zu prüfen, damit sie später für sie zugelassen und bei ihnen sicher angewendet werden können. Tatsächlich mangelt es bei den pharmazeutischen Unternehmen keineswegs am Willen, zu Kinderarzneimitteln zu forschen und so den aktuellen Missstand zu beheben – im Gegenteil. Das Problem: übermäßige, teils kontraproduktive regulatorische Hürden sorgen dafür, dass es den pharmazeutischen Unternehmen nahezu unmöglich ist, bei der Zulassung von Kinderarzneimitteln wirtschaftlich agieren zu können. „Ihre Investitionen bekommen die pharmazeutischen Unternehmen nicht refinanziert“, bestätigt Dr. Burkhard Rodeck.

Kinderärzte, Forscher, pharmazeutische Industrie und Patientenvertretungen sehen daher die Politik in der Pflicht. „Bisher wurden für zu wenige bzw. nicht sämtliche Produktgruppen geeignete regulatorische Voraussetzungen für die Entwicklung von Kinderarzneimitteln geschaffen“, kritisiert Dr. Nicole Armbrüster, Expertin für Kinderarzneimittel beim BPI. „Wir fordern die Politik auf, mehr Anstrengungen zu unternehmen, damit Kinder und Jugendliche von einer speziell auf ihre Bedürfnisse angepassten wirksameren und sichereren Arzneimitteltherapie profitieren können.“

 

Lösungsvorschläge der Pharmaindustrie an Politik und Wissenschaft 

Der BPI hat selbst konkrete Lösungsvorschläge erarbeitet, wie politische Entscheidungsträger die Versorgungssituation von Kindern und Jugendlichen verbessern können. Die Vorschläge beziehen auch den ethisch sensiblen Bereich der klinischen Prüfungen ein, welche mit der Entwicklung eines neuen Arzneimittels einhergehen. Angesichts des jungen Alters der Studienteilnehmer kommt hierbei allen Beteiligten eine besonders hohe Verantwortung zu. Um die Zahl der Studien mit Kindern auf ein notwendiges Maß zu bringen, empfiehlt der BPI beispielsweise, wissenschaftlich weiterentwickelte statistische Verfahren zur Übertragung von Evidenz von Erwachsenen auf Kinder anzuerkennen.

Sofern es für ein bestimmtes Krankheitsbild bei einem Kind keine andere Möglichkeit gibt, als ein Arzneimittel im Off-Label-Use einzusetzen, sollte bei dessen Gebrauch wenigstens eine systematische Erfassung der Anwendung außerhalb der eigentlichen Zulassung erfolgen. So lassen sich relevante Daten für später notwendige klinische Prüfungen sammeln. An den Gesetzgeber richtet sich zudem die Forderung, praxisferne Teilnahmebedingungen für klinische Prüfungen abzubauen, zum Beispiel durch die Förderung einer familienfreundlichen Planung von Studienbedingungen.

Nicht zuletzt gilt es, die regulatorischen Hürden abzubauen. Die Europäische Arzneimittelbehörde EMA ebnet für die Zulassung eines Kinderarzneimittels eigentlich einen pragmatischen Weg, indem sie auch klinische Daten von niedrigeren Evidenzlevels und Daten aus der wissenschaftlichen Literatur anerkennt. Doch für die Zulassung von Arzneimitteln in Deutschland legt der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) weitere unnötige Hürden auf. So sollen verschreibungspflichtige Arzneimittel in der sogenannten „Frühen Nutzenbewertung“ einen Zusatznutzen zu einer bereits zugelassenen Vergleichtstherapie nachweisen. Liegt ein Zusatznutzen vor, erfordert dieser wiederum aufwändige klinische Prüfungen an Kindern. „Hier sind umfassende Anpassungen notwendig, um Forschung und Entwicklung an Kinderarzneimitteln nicht ins Leere laufen zu lassen. Das Ziel sollte es sein, den Anteil an geprüft wirksamen, unbedenklichen und hochqualitativen Arzneimitteln für Kinder und Jugendliche wesentlich zu erhöhen“, fasst Prof. Dr. Jens Peters, Geschäftsfeldleiter Klinische Forschung beim BPI, zusammen.

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